Alle Räder stehen still …

6. August 2007

95,8 %. Das ist die Zahl des Tages, zumindest für die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Am Donnerstag soll der Streik beginnen.

Dass es überhaupt zu einem Streik der Triebfahrzeugführer (so die korrekte Bezeichnung) kommen kann, liegt an der Bahn-Reform. Bis in die 80er Jahre war man in der Bundesrepublik der Meinung, die Eisenbahn dürfe nicht bestreikt werden, dazu wäre ein störungsfreier Bahnbetrieb zu wichtig für Wirtschaft und Gesellschaft. Weshalb sonst waren Lokführer bis zur Bahnreform generell verbeamtet?

Auch heute befürchtet der Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) einen „Knacks bei der Konjunktur“ im Falle eines flächendeckenden Streiks. Von der gleichen Person, nämlich BDI-Geschäftsführer Carsten Kreklau, stammt auch die Aussage: „Grundsätzlich ist die Privatisierung der Deutschen Bahn AG der richtige Weg für einen besseren Schienenverkehr in Deutschland.“ Zu einer privaten AG gehören nun mal auch Streiks. In anderen Ländern Europas ist das längst Alltag.

Für die Deutsche Bahn AG geht es um viel. Es geht um die Frage, ob eine vergleichsweise kleine Gruppe von Mitarbeitern einem Großkonzern seine Bedingungen diktieren kann. Viele Wirtschaftsvertreter sehen im Fall der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer einen Präzedenzfall, den es mit der Pilotenvereinigung Cockpit und dem Marburger Bund eigentlich schon längst gibt.

Die Seite der Lokführer lässt sich nicht ohne einen Blick auf die Geschichte dieses einst hoch angesehenen Berufsstandes verstehen. Vorbei die Zeiten, als man mit Ehrfurcht zu den Lokführern hinaufschaute, die übrigens früher mit Schlips und Kragen auf der Maschine standen. Vorbei die Zeiten, als jeder Junge selbstverständlich Lokomotivführer als seinen Berufswunsch angab. Der Eisenbahn-Autor Karl-Ernst Maedel fand für die besondere gesellschaftliche Stellung der Lokführer die Worte: „Böse Zungen behaupten immer, die Lokomotivmänner hätten auch im Himmel ihre eigene Abteilung, so etwa, wie sie auf Erden eine eigene Gewerkschaft gegründet haben.“ Diese Gewerkschaft, gegründet 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer, ist tatsächlich eine der ältesten Arbeitnehmervertretungen Deutschlands.

Die heutigen Triebfahrzeugführer erleben den Niedergang ihres Berufsstandes, für den sie das Management der Deutschen Bahn AG mitverantwortlich machen. Nicht nur ich habe häufig den Eindruck, als seien die Besonderheiten des Systems Eisenbahn in den Führungsebenen des Konzerns nicht wirklich verstanden worden. Früher war Pünktlichkeit der Ehrbegriff des Lokomotivführers, und viele Lokmänner und -frauen sehen das auch heute noch so. Es soll aber schon Fälle gegeben haben, bei denen das Aufholen von Verspätung durch scharfes Fahren von der „Führungskraft” mit Tadel belegt wurde, weil dadurch der Energieverbrauch höher als unbedingt notwendig war. Wenn einem schon die Anerkennung der beruflichen Leistung samt zugehöriger Aufstiegschancen vorenthalten wird, bleibt einem nur noch, eine der Verantwortung und Bedeutung der Tätigkeit angemessene Entlohnung einzufordern.

Beim Lokführerstreik geht es nicht zuletzt um den Beweis, dass dem Berufsstand des Lokführers auch heute noch ein besonderer gesellschaftlicher Stellenwert zusteht. Carsten Kreklau vom BDI leugnet diesen besonderen Stellenwert, liefert aber unfreiwillig mit seiner Warnung vor dem „Konjunktur-Knacks“ ein wichtiges Argument für die Seite der Lokführer. Für die Deutsche Bahn AG mit Hartmut Mehdorn an der Spitze würde die Anerkennung dieser Sonderstellung eine große Belastung für den geplanten Börsengang darstellen. Es ist eine harte Auseinandersetzung zu erwarten. Man darf gespannt sein.

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